5,5 Prozent mehr Lohn sind realitätsfern”

Arndt G. Kirch­hoff, Ver­hand­lungs­füh­rer Metall NRW in der aktu­el­len Tarif­runde, in der Rhei­ni­schen Post vom 25.11.2014

Herr Kirch­hoff, wie lau­fen Ihre Geschäfte?

Kirch­hoff Grund­sätz­lich ist welt­weit die Geschäfts­lage in der Auto­mo­bil­in­dus­trie gut. Davon pro­fi­tiert auch mein Unter­neh­men. Aber je nach­dem, für wel­ches Modell oder in wel­che Region man lie­fert, kann die Situa­tion extrem durch­wach­sen sein.

Das müs­sen Sie genauer erklären.

Kirch­hoff Es gibt Pro­blem­märkte wie Russ­land. Da lie­gen die Geschäfte sank­ti­ons– und kri­sen­be­dingt 15 bis 20 Pro­zent zurück. Ins­ge­samt muss man sagen, dass von den BRIC-Staaten Bra­si­lien, Russ­land, Indien und China ein­zig China noch als Markt inter­es­sant ist. Dort haben wir in die­sem Jahr wie­der ein zwei­stel­li­ges Wachs­tum. Auch die USA, Zentral-, Ost– und große Teile West­eu­ro­pas funk­tio­nie­ren gut. Aller­dings machen uns Ita­lien und Frank­reich Sor­gen. Beide haben beim Thema Staats­schul­den ihre Haus­auf­ga­ben ver­säumt. Das schlägt sich im gerings­ten Auto­ab­satz in Europa nieder.

Könnte das nicht Zufall sein?

Kirch­hoff Nein, denn die­je­ni­gen, die harte Refor­men durch­ge­führt haben, Spa­nien, Por­tu­gal, Grie­chen­land, Irland, haben alle ein zwei­stel­li­ges Plus beim Autoabsatz.

Was bedeu­tet die wirt­schaft­li­che Lage für die anste­hende Tarifrunde?

Kirch­hoff Bezo­gen auf die Auto­in­dus­trie ist das Bild ganz dif­fe­ren­ziert. Es gibt die­je­ni­gen, denen die Sonne lacht, viele Mar­ken haben einen guten Lauf. Andere wie­derum müs­sen Werke schlie­ßen oder bean­tra­gen Kurzarbeit.

Bei der letz­ten Tarif­runde muss­ten Sie eine zwei­stu­fige Erhö­hung von 3,4 Pro­zent und 2,2 Pro­zent hin­neh­men. Wie viele Unter­neh­men waren davon überfordert?

Kirch­hoff Nimmt man noch den Abschluss von 2012 dazu, kommt man auf Lohn­stei­ge­run­gen von weit über zehn Pro­zent. Das trifft unsere Unter­neh­men unter­schied­lich stark. Die­je­ni­gen, die in der Wert­schöp­fungs­kette am Anfang und am Ende ste­hen, haben in der Regel weit weni­ger Per­so­nal­kos­ten als die klas­si­schen Zulie­fe­rer, die bis zu 75 Pro­zent der Arbeits­leis­tung erbrin­gen. Für einige sind solch hohe Abschlüsse existenzgefährdend.

Die For­de­rungs­emp­feh­lung des IG-Metall-Vorstands beträgt 5,5 Pro­zent. Begrün­dung: Der Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wachs liege bei 1,5 Pro­zent, die Ziel­in­fla­tion bei zwei Pro­zent. Hinzu kommt eine nebu­löse „zusätz­li­che Ver­tei­lungs­kom­po­nente“ von zwei Pro­zent. Aus Ihrer Sicht schlüssig?

Kirch­hoff Was sich da als For­de­rung abzeich­net, ist völ­lig rea­li­täts­fern. Die Infla­tion liegt seit drei Quar­ta­len bei 0,8 Pro­zent. Ich wage mal den Tipp, dass sie bis Jah­res­ende allen­falls bei einem Pro­zent lie­gen wird. Der Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wachs wird bei unse­ren ener­gie­in­ten­si­ven Betrie­ben von den hohen Ener­gie­kos­ten auf­ge­zehrt. Von der Umver­tei­lungs­kom­po­nente müs­sen wir gar nicht erst sprechen.

Was wäre denn Ihrer Mei­nung nach eine rea­lis­ti­sche Zahl?

Kirch­hoff Es gibt ja der­zeit nur die For­de­rungs­emp­feh­lung. Wir war­ten jetzt den Beschluss ab. Dann hören Sie Kon­kre­tes von unse­rer Seite.

Wer­den Sie ver­su­chen, eine lange Lauf­zeit durchzusetzen?

Kirch­hoff Das Thema wird zwar erst sehr spät in den Tarif­ver­hand­lun­gen auf­ge­ru­fen, aber klar ist: Im Sinne der Pla­nungs­si­cher­heit ist das eine sehr inter­es­sante Variante.

Die Gewerk­schaft ver­langt eine von den Arbeit­ge­bern mit­fi­nan­zierte Bil­dungs­teil­zeit. Laut IG Metall ent­schei­det bis­lang nur die Erst­qua­li­fi­ka­tion über die beruf­li­che Ent­wick­lung. Stimmt das?

Kirch­hoff Das ist Blöd­sinn. Meine Bran­che gibt Jahr für Jahr acht Mil­li­ar­den Euro für Aus– und Wei­ter­bil­dung aus. Das ist auch erfor­der­lich. Wenn sie eine Erst­qua­li­fi­ka­tion ein­mal erwor­ben haben, dau­ert es beim heu­ti­gen Fort­schritt nur zwei bis drei Jahre, bis neue Maschi­nen und Pro­zesse eine Nach­schu­lung erfor­dern. Wer seine Mann­schaft nicht auf Stand hält, droht die Wett­be­werbs­fä­hig­keit zu verlieren.

Dann spricht nichts gegen einen ver­bind­li­chen Anspruch.

Kirch­hoff Wir befürch­ten, dass wir dann über Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men reden, die nicht dem Betrieb nüt­zen. Das darf nicht passieren.

Aber die IG Metall wird keine Häkel­kurse für die Mit­ar­bei­ter verlangen.

Kirch­hoff Viel­leicht nicht so etwas Absur­des, aber der Ver­dacht liegt nahe, dass sie auch über nicht-betriebsnotwendige, aber viel­leicht wün­schens­werte Wei­ter­bil­dungs­gänge spre­chen will. Das wäre dann aber ganz klar kein Thema der Unter­neh­men. Bei uns gibt es nur betriebs­nahe Wei­ter­bil­dung — und das ist voll­kom­men ausreichend.

Die IG Metall beklagt, dass es zu wenig Zeit für die Wei­ter­bil­dung gibt.

Kirch­hoff Zeit für Wei­ter­bil­dung zu schaf­fen, gehört zu den Über­le­gun­gen, die wir mit der Gewerk­schaft gemein­sam anstel­len. Wir haben nach der letz­ten Tarif­runde Gesprä­che zum Thema Lebens­ar­beits­zeit auf­ge­nom­men. Da geht es neben Wei­ter­bil­dung auch um Zeit für Pflege und Erzie­hung. Es war aber ver­ab­re­det, dass diese Gesprä­che nichts mit der nächs­ten Tarif­runde zu tun haben. Dass die IG Metall jetzt anders als bespro­chen einen Teil doch in die Runde packt, ist ärger­lich. Aber nicht alles, was sie auf den Tisch legt, muss auch zu einer Ver­ein­ba­rung führen.

Könnte das ein­sei­tige Vor­ge­hen der IG Metall zum Abbruch aller Gesprä­che über die Lebensarbeitszeit-Themen führen?

Kirch­hoff Nein, dafür ist das zu wich­tig. Vor dem Hin­ter­grund des demo­gra­fi­schen Wan­dels und des Fach­kräf­te­man­gels müs­sen wir als Arbeit­ge­ber attrak­tiv bleiben.

Neben der Bil­dung soll auch über eine Neu­re­ge­lung der Alters­teil­zeit gespro­chen werden.

Kirch­hoff Das bie­ten wir ja bereits an. Wenn einer nicht mehr kann, dann muss er auch frü­her aus­schei­den dür­fen. Das Gros der über 60-Jährigen will aber sogar län­ger arbei­ten. Viel­leicht nicht Vollzeit.

Heißt das, Sie haben Sym­pa­thien für die Arbeits­zeit­ver­kür­zung für Ältere, wie sie gerade die IG BCE in der Che­mie­bran­che fordert?

Kirch­hoff Sowas machen wir doch schon längst. Dafür benö­ti­gen wir aber keine tarif­ver­trag­li­chen Rege­lun­gen. Das lässt sich indi­vi­du­ell klären.

Die IG Metall will durch­set­zen, dass Beschäf­tigte mit belas­ten­den Tätig­kei­ten eine sechs­jäh­rige Alters­teil­zeit neh­men kön­nen. Das müss­ten Sie doch als ver­ant­wor­tungs­vol­ler Unter­neh­mer unterschreiben.

Kirch­hoff Das ist über­haupt nicht ange­mes­sen. Noch ein­mal: Es ist immer eine indi­vi­du­elle Frage, wann jemand nicht mehr kann. Außer­dem mal ein Gegen­vor­schlag: Man kann doch auch ein­fach nach einem ande­ren Arbeits­platz schauen. Kein Mensch sagt, dass der Beschäf­tigte immer das­selbe machen muss. Da gibt es doch Ural­t­mo­delle: Im Berg­bau hat man kei­nen älte­ren Kum­pel bis zur Rente unter Tage gelassen.

Alters­teil­zeit, Bil­dungs­teil­zeit und Ent­gelt, was ist der kri­tischste Punkt?

Kirch­hoff Schwie­rig ist die Ent­gelt­frage. Für die Alters­teil­zeit müs­sen wir ein ver­nünf­ti­ges Modell fin­den. Das Thema Bil­dungs­zeit gehört in die Gesprä­che über eine lebens­pha­sen­ori­en­tierte Arbeitszeit.

Rech­nen Sie mit Streiks ab dem 28. Januar, wenn die Frie­dens­pflicht endet?

Kirch­hoff Um das zu beur­tei­len, ist es ein biss­chen früh.

Sie sind erst­mals Ver­hand­lungs­füh­rer. Wie groß ist der Respekt vor der Aufgabe?

Kirch­hoff Ich bin schon lange im Tarif­ge­schäft, aller­dings erst­mals in die­ser Rolle. Ich kenne und schätze alle han­deln­den Personen.

Wie sehr wün­schen Sie es dem IG-Metall-Bezirkschef von NRW, Knut Gies­ler, dass er den Pilot­ab­schluss hinbekommt?

Kirch­hoff (lacht) Fra­gen Sie ihn doch mal, wie viel Lust er dazu hat.