Unternehmer Lars Baumgürtel aus Gelsenkirchen will einer Zwangsabschaltung zuvorkommen

Lars Baumgürtel ist Chef der Zinq-Gruppe mit 50 Verzinkereien in Europa und einem hohen Gasverbrauch. Ein Interview mit der WAZ.

Um Konstruktionsteile für Stahlbauten der Lastwagen zu verzinken, muss Lars Baumgürtel seine Tauchbecken der Firma Voigt & Schweitzer im Gelsenkirchener Stadthafen auf 450 Grad erhitzen. Dafür  braucht er Unmengen Gas. Im Interview erklärt der Chef der Zinq-Gruppe und Vizepräsident der IHK Nord Westfalen, was die Preisexplosion bedeutet und warum sich 40 Firmen aus Gelsenkirchen zusammentun, um freiwillig Gas einzusparen.

Durch die Leitung Nord Stream 1 fließt wieder Gas aus Russland nach Deutschland. Sind Sie erleichtert?

Grundsätzlich bin ich als Unternehmer sehr dafür, dass Energie nicht als politischer Spielball herhalten muss. Deshalb ist es gut, dass die Industrie wieder mit Gas versorgt wird. Die große Frage ist natürlich, wie viel Gas aus Russland kommt und ob die Menge
ausreichen wird, unsere Gasspeicher für den Winter zu füllen. Ich befürchte, dass die Abhängigkeit von russischem Gas trotz aller Anstrengungen noch eine Weile anhalten wird.

Der Gaspreis hat sich verdreifacht. Können Sie die Mehrbelastung an Ihre Kunden weitergeben?

Bei unseren Kunden gibt es zum Glück ein sehr hohes Verständnis für die Lage. Nicht nur Gas ist deutlich teurer geworden, sondern auch Zink. Diese Mehrkosten muss man an den Markt weitergeben, um wettbewerbsfähig zu bleiben. EU und Bundesregierung rufen zum Gassparen auf.

Ist das auch für Sie als energieintensives Unternehmen eine Option?

Energie war nie wirklich billig. Deshalb hat die Wirtschaft nach meiner Überzeugung schon eine Menge investiert, um so energiesparend zu arbeiten wie möglich. Die Jagd nach der letzten Kalorie ist längst im Gange. Die Effizienz, die aus der deutschen Industrie zusätzlich
herauszuholen ist, liegt deshalb bei nur noch drei Prozent. Das Ende der Fahnenstange ist nahezu erreicht. In anderen Sektoren wie Gebäudewirtschaft und Verkehr ist mehr zu gewinnen.

Haben Sie eine Alternative, beim Verzinken weg vom Erdgas zu kommen?

Allein unsere deutschen Standorte verbrauchen pro Jahr mehr als 100 Millionen Kilowattstunden Gas. Damit können mehr als 10.000 Haushalte versorgt werden. Wir könnten kurzfristig auf Öl umstellen. Das überlegen im Moment viele energieintensive Unternehmen. Öl im Betrieb sicher zu lagern, ist aber nicht banal. Zudem braucht man Genehmigungen. Das dauert. Und dazu haben wir auch noch eine Materialkrise mit langen Lieferzeiten.

Sie planen seit geraumer Zeit, auf grünen Wasserstoff umzustellen.

Ja, das ist die Zukunft. Das gilt im Übrigen für die Industrie in Gelsenkirchen insgesamt. Wir wollen unbedingt Wasserstoff testen. Die Gaskrise beschleunigt den Prozess und macht es wahrscheinlicher, dass sich der Preis für grünen Wasserstoff auf dem heutigen Niveau für Erdgas einpendelt. In Deutschland gibt es aber rund 300.000 Großfeuerungsanlagen. Es wird also eine Weile dauern, bis wir auf Wasserstoff umgestellt haben. Wir müssen aber jetzt damit beginnen.

Fürchten Sie, dass Sie im Falle eines Gasnotstands Ihre Anlagen abschalten müssen?

Ich habe ein großes Interesse daran, das Heft des Handelns so lange wie möglich selbst in der Hand zu halten. Das kann nur funktionieren, wenn wir auf lokaler Ebene gezielt Gasmengen aus dem Markt nehmen, damit erst gar keine Mangelsituation entsteht. In Gelsenkirchen führen deshalb 40 energieintensive Unternehmen gemeinsam Gespräche mit der ELE Verteilnetz GmbH mit dem Ziel, freiwillige Verabredungen zu treffen, wann sie auf Gas verzichten können.

Glauben Sie, dadurch einer möglichen Abschaltaufforderung der Bundesnetzagentur im Falle eines nationalen
Gasnotstands zuvorkommen zu können?

Ja, denn wenn diese gesetzlich geregelte Kaskade zur Anwendung käme, wäre alles zu spät. Niemand kennt aktuell die Branchen und Regionen, die dann abschalten müssten. Die Unternehmen hätten zudem überhaupt keinen Vorlauf. Deshalb wollen wir freiwillig unseren Beitrag leisten. Dazu brauchen wir natürlich die Unterstützung der Politik. Der Netzbetreiber unterstützt unseren Ansatz, den wir das Gelsenkirchener Modell genannt haben, ebenso wie die Stadt, die Arbeitgeberverbände Emscher-Lippe und die IHK Nord Westfalen.

Raten Sie auch anderen Industriestandorten zu dieser freiwilligen Lösung?

Absolut. Sie ist skalierbar. Nur so kann Wirtschaft ihre Handlungsfähigkeit behalten.

 

Quelle/Foto: WAZ Interview Frank Meßing/Lukas Schulze mit Lars Baumgürtel, ZINQ Gruppe